Laras Welt – zwischen Spitzensport, Studium und Schokolade (Teil 2b)
Lara Tortell ist aktuell die einzige Athletin, die im A-Team Spitzenleistungen anstrebt. Ihre Paradedisziplin ist der 800-Meter-Lauf. Mit ihrer diesjährigen Bestleistung, 2:09,16 Minuten, startet sie in die Hallensaison. Lara hat in den vergangen zwei Jahren in Berkely/USA und in Sevilla/Spanien gelebt, studiert, trainiert und ihre Wettkämpfe absolviert. Nun beginnt sie im Oktober ihr Jura-Studium in Heidelberg. Um mehr über sie, ihre Gedanken und ihren Alltag in Studium und Spitzensport zu erfahren, begleiten wir sie in den kommenden Monaten. Sie wird uns in unregelmäßigen Abständen einen Einblick in ihre Welt gewähren und dabei auch auf den Teil eingehen, der im Titel dieser Serie für die „Schokolade“ steht – die süßen und bitteren Extras in Laras Leben zwischen Uni und Tartanbahn.
Für den Erfolg: Vertrauen und der Glaube an sich selbst
Mehr als die Summe aller Teile
Wenn es lediglich um Quantität und Qualität des Trainings gehen würde, wäre es deutlich einfacher, Top-Leistungen zu erbringen. Aber es steckt viel mehr als das dahinter. Durch sportmedizinische Untersuchungen etwa erfasst man jegliche relevante physiologische Faktoren. Untersuchungswerte wie Laktatverträglichkeit und Lungenvolumen sind hilfreich für die Erstellung von Trainingsplänen, aber der alleinige Versuch, alle möglichen körperlichen Daten zu erkennen, erfasst nur eine Seite des Sports. Ich bin der Meinung, dass es ein tieferes Verständnis von sich selbst benötigt und es auch auf nicht messbare Werte ankommt, um letztendlich zu erkennen, was das eigene individuelle Rezept zum Erfolg ist. Mir ist aufgefallen, dass eine direkte Verbindung zwischen meinem allgemeinen seelischen Wohlbefinden (“mental health”) und meiner sportlichen Leistung besteht. Je ausgeglichener ich in meinem Leben bin, desto besser läuft es im Training und im Wettkampf.
Vertrauen als Basis für Erfolg
Für mich persönlich spielt das Vertrauen eine große Rolle und ist ausschlaggebend für meinen Erfolg oder Misserfolg: Vertrauen in mich selbst und meine Fähigkeiten, das Wissen um das Vertrauen meiner Trainerin und meines Trainers in mich als Athletin, aber auch mein Vertrauen in sie. Als Athletin muss ich der Überzeugung sein, dass das, was auf meinem Trainingsplan steht, zu 100 Prozent richtig ist. Nur dann widme ich mich vollkommen und ohne Zweifel der akribischen Umsetzung des Plans. Wichtig ist aber auch die Intuition: zu erkennen, wann weniger mehr ist und welche Umstände dazu führen, dass das Training abgeändert werden muss. Dafür ist es essenziell, dass Trainer:in und Athlet:in einander gut kennen, sich der Athlet oder die Athletin selbst einschätzen kann und beide Parteien in stetigem Austausch stehen.
Diese vielen Faktoren machen den Sport so komplex und zeigen auf, dass es nicht selbstverständlich ist, die gewünschte Leistung zu erzielen. Jeder Sportler und jede Sportlerin kennt das Gefühl, viel und gut trainiert zuhaben, aber im Wettkampf trotzdem nicht die erwünschte Leistung abgerufen werden kann oder der erhoffte Sprung ausbleibt. Ich erkläre mir das so: Das Erbringen einer optimalen Leistung in einem Wettkampf, bei dem „alles stimmt“, ist eine Momentaufnahme: Alle Puzzleteile – alle relevanten Faktoren – stehen an der richtigen Stelle und greifen perfekt ineinander. Aber anders als ein Puzzle, das statisch ist, ist das Gefühl von „im Gleichgewicht sein“, welches uns unsere Wunschleistung erbringen lässt, dynamisch. Es ändert sich oft leider viel zu schnell. An dem Optimum festzuhalten, ist genauso schwierig, wie es zu erzeugen. Ohne dass man sich versieht, kommt man wieder aus dem Gleichgewicht; um erneut in die ideale Balance zu kommen, benötigt das ganze Konstrukt wieder eine neue Zusammensetzung.
Wie hast du es geschafft, an deine Fähigkeiten zu glauben?
Sport ist ein aufregendes Spiel
Der Punkt ist: Es gibt kein ausformuliertes und gleichbleibendes Rezept zum Erfolg. Was Sportler:innen brauchen, um das Gefühl von „es stimmt alles“ zu erzeugen, ist individuell ganz verschieden. Ebenso verschieden sind die einzelnen Phasen, die jeder Athlet und jede Athletin in diesem Prozess selbst durchläuft. Phasen, in denen die Aktiven immer wieder neue Dosierungen der relevanten Zubringerleistungen benötigen.
Aber gerade weil, das Erzielen einer ganz bestimmten Leistung eine fragile Zusammensetzung bestimmter Faktoren erfordert, ist der Sport ein aufregendes Spiel. Genau dieses Konstrukt ergibt den besonderen Wert von sportlichen Spitzenleistungen und macht sie noch anerkennungswürdiger.
Zudem sorgt die Vielzahl an Stellschrauben, an denen man täglich drehen kann, für die Nuancen, die am Wettkampftag zwischen den Medaillenfarben entscheiden. Im Alltag mögen dann die kleinen Zubringerfaktoren, wie beispielsweise Gymnastik, Koordination, Steigerungen und Stabilisationsübungen, die man gerne mal unbedacht weglässt, zwar nichtig erscheinen, sie sind in der Summe aber doch relevant. Am Ende zeigt sich dadurch: Erfolg ist unter anderem gekennzeichnet von Gewissenhaftigkeit in der Umsetzung, Fleiß und Liebe zum Detail.
Wie hast du deinen perfekten Wettkampf erlebt?
Was ist dann passiert und was hast du aus der Erfahrung für dich mitgenommen?
Leistung bestimmt nicht deinen Wert!
Allerdings sind Misserfolge und Enttäuschung trotz durchdachter Routinen und harter Arbeit leider auch garantiert. Es kann nicht immer alles nach Plan laufen. Krankheit, Verletzungen, unerklärliche Durchhänger gehören bei jedem dazu. Dies widerspricht allerdings nicht meinem Grundsatz: Ich bin meines Glückes Schmied. Für mich bedeutet diese Lebensphilosophie auch, dass ich in misslichen Lagen den Kopf nicht hängen lasse. Wenn ich eine Situation nicht kontrollieren kann, bringt es mir nichts, mich an ihr aufzuhalten. Dann gilt es, so schnell wie möglich mit der Enttäuschung abzuschließen, aus ihr zu lernen und nach vorn zu schauen. Aber mit Enttäuschung umgehen zu können, muss auch gelernt sein. In einem Sport, bei dem letztendlich im Wettkampf nur auf die Uhr – auf das Ergebnis – geschaut wird, reduzieren wir Athlet:innen uns zu oft nur auf unsere Leistung und werden auf diese reduziert.
Vor allem jüngeren Athlet:innen können so schädliche Werte vermittelt werden. Nach einem „schlechten“ Training oder Wettkampf im Sinne von: Die Erwartungen sind unerfüllt geblieben, ist es wichtig, nicht an sich und den eigenen Fähigkeiten zu zweifeln. Hierfür ist es essenziell, dass das Umfeld der Athletin oder des Athleten deutlich vermittelt, dass der persönliche Wert als Mensch nicht von der erbrachten Leistung abhängt. Wer den Spitzensport lebt, sich tagtäglich in den Fängen dieses Sports bewegt, dem kann es leicht passieren, Leistung und Selbstwert gleichzusetzen und das Erzielen der gewünschten Leistung als ultimatives Ziel zu sehen. Beim Verfehlen dieses Ziels liegt es dann nahe, dass Athlet:innen von sich selbst enttäuscht sind. Aber ein gedanklicher Shift sollte hier vorgenommen werden: Wer im Training und Wettkampf das Beste gegeben hat, braucht sich selbst nichts vorzuwerfen und kann mit sich zufrieden sein.
Sich dem Leistungssport zu verpflichten, führt unumgänglich zu hohen Erwartungshaltungen.Natürlich brauchen Athlet:innen große Ziele, um täglich die Motivation aufzubringen, sich selbst immer weiter zu pushen und diszipliniert zu sein. Damit einher geht dann auch automatisch Druck. Lasst uns diesen bewusst in seine Schranken weisen und uns daran erinnern: Erfolg kommt, wenn wir ihn nicht erzwingen. Eine entspannte gesunde Einstellung zu sich selbst und zum Sport bringt uns letztendlich der erwünschten Leistung sehr viel näher.
Lara Tortell
Beiträge aus „Laras Welt – zwischen Spitzensport, Studium und Schokolade“: Leistungssport: warum eigentlich?