Goodbye: Gina Marielle Schürg verabschiedet sich vom Leistungssport
Gina Marielle Schürg gehört zum festen Kern des A-Teams und ist seit der Vereinsgründung dabei. Jetzt hat sie eine Entscheidung getroffen, die sie hier schildert. Es ist spannend zu lesen, was ihr der Sport bedeutet, vor welche Herausforderungen er sie gestellt hat und wie sie auch kritisch reflektiert, welche Risiken mit dem Spitzensport einhergehen können. Ein wichtiger Anstoß über den Leistungsgedanken hinaus. Ein Anstoß, um sich noch einmal bewusst zu machen, wo begleitende und betreuende Menschen von Talenten im Spitzensport genau hinschauen sollten und dass es auch wichtig ist, den Nachwuchs für dessen eigenes Befinden und eigene Bedürfnisse zu sensibilisieren. Danke dafür, Gina, dass du uns mit diesen Zeilen an deiner Entscheidung und deiner Gefühlswelt teilhaben lässt!
Goodbye Leistungssport
Für die einen oder anderen wird das hier absurd klingen, weil mich viele aus der Leichtathletik-Szene nicht mehr auf dem Schirm haben oder längst abgeschrieben hatten. Für mich ist es aber alles andere als absurd. Denn auch, wenn ich im Mittelstreckenlauf länger nicht mit besonderen Leistungen in Erscheinung getreten bin, ich habe immer hart an meinem Comeback gearbeitet. Aber jetzt ist es fix: Ich gebe den Leistungssport auf.
In meiner Jugend war ich eine sehr erfolgreiche Läuferin, wurde jedoch durch zahlreiche Verletzungen ausgebremst. Seit meinem 14. Lebensjahr betrieb ich den Laufsport über verschiedene Distanzen auf einem hohen Niveau. Ich begann wie viele Nachwuchsläuferinnen mit einem Trainingsaufwand von drei Trainingseinheiten pro Woche und letztendlich bin ich bei zehn Trainingseinheiten in der Woche gelandet, sodass sich mein ganzes Leben um den Sport drehte. Ich hatte kaum Zeit für Dinge, die Jugendliche normalerweise in diesem Alter machen.
Mit purer Freude an die Eliteschule des Sports
Mit 14 Jahren wechselte ich von einer ganz normalen Realschule in Bad Nauheim zur Eliteschule des Sports in Frankfurt, der Carl-von-Weinberg-Schule. Der Grund dafür war, meinen Fokus noch gezielter auf den Leistungssport auszurichten. Mein Tag startete morgens um fünf Uhr, vor allem, weil der Weg zur Schule so lange dauerte. Dafür war ich jeden Morgen erst mal zwei Stunden unterwegs, hatte dann aber dort gleich die erste Trainingseinheit. Dann begann der Unterricht und gegen Nachmittag absolvierte ich dann meine zweite Trainingseinheit. Nach Hause kam ich etwa um 20 Uhr. Mein Programm dort: Essen, Duschen, Hausaufgaben erledigen. Gegen 22/23 Uhr war mein Tag zu Ende.
All das habe ich aus purer Freude und Begeisterung für diesen Sport gemacht und um eines Tages bei den Olympischen Spielen an der Startlinie zu stehen. Jeder, der mich kennt oder sogar mit mir trainiert hat, weiß, dass ich extrem ehrgeizig bin und nahezu besessen davon war, immer ein bisschen mehr zu machen, als die anderen es getan haben. Es hat mich jeden Tag erfüllt und ich hätte mir ein Leben ohne Sport nicht vorstellen können, denn dieser hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.
Nicht unverwundbar, aber unverwüstlich
Im Jahr 2016 bremsten mich die ersten Verletzungen aus. Das war etwas ganz Neues für mich, weil ich immer dachte, dass ich einen sehr robusten Körper habe, der alles wegstecken könnte. Es folgten zwei Ermüdungsbrüche, die mich aber nicht aus dem Konzept bringen sollten. Ich verschwendete keinen Tag mit dem Gedanken daran, meinen Sport aufzugeben. Im Gegenteil. Ich saß jeden Tag mehrere Stunden auf dem Fahrrad oder verbrachte einige Stunden im Schwimmbad. Doch dann, am 3. Januar 2017, wurde meine Leistungssportkarriere beendet, – festgestellt habe ich das aber erst in diesem Jahr.
Am 3. Januar vor vier Jahren wurde ich im Trainingslager von einem Auto angefahren, dabei brach meine Kniescheibe. Ich habe fast ein Jahr auf Krücken verbracht und konnte keinen Sport betreiben. Ich konnte keine einzige Sportart betreiben und hatte zusätzlich mit einer Essstörung zu kämpfen. Einige Ärzte hatten mir gesagt, dass ich durch diese Verletzung keinen Leistungssport mehr betreiben könnte und ich dankbar sein könnte, wenn mein Knie im Alltag noch funktionieren würde. Von hundert auf null. Ich musste fast den ganzen Tag liegen. Das Highlight des Tages war ein zwanzigminütiger Spaziergang mit meiner Mutter. Nach zwei Operationen musste ich das Laufen neu lernen und bin nach einer vierwöchigen Reha im Februar 2018 wieder ins Training eingestiegen. Ich nahm wieder an Trainingslagern teil und kämpfte mich Stück für Stück zurück.
Kampfgeist für eine neue Erkenntnis
Es gab zwei oder drei Wettkämpfe und jedes Mal bin ich ein Stück näher an meine alte Form gekommen. Doch dann bremsten mich wieder einige Verletzungen aus. Jedes Mal, wie als ob mein Körper es riechen würde, bin ich vor der Startlinie wieder auf die Nase geflogen – so wie letztes Jahr, wo ich mich erneut operieren lassen musste. Auch hier war ich drei Monate auf Krücken und auch hier wollte ich wieder anfangen, weil ich diesen Kampf einfach nicht verlieren wollte und weil ich nicht wusste, durch was ich mich definieren soll, wenn dieser Sport kein Teil meines Lebens mehr ist. Der Leistungssport hat jahrelang mein Leben bestimmt. Jedes Mal bin ich wieder aufgestanden, nur dieses Mal bin ich es auf eine andere Art und Weise.
Letztendlich betreibe ich keinen Leistungssport mehr. Dies zu realisieren und zu akzeptieren hat Monate gedauert. Ich habe in dieser Zeit realisiert, dass der Autounfall 2017 meine Leistungssportkarriere beendet hatte, denn die Verletzungen, die danach kamen, sind alle auf den Unfall zurückzuführen. Aber ich habe auch realisiert, dass ich mich noch durch so viele andere Dinge definiere, dass ich ohne den Sport auch wertvoll bin.
Sport ist Glück, doch Glück liegt nicht nur im Sport
Vor allem ist mir bewusst geworden, dass der Sport neben den positiven Faktoren auch einige negative Faktoren mit sich bringen. Diese negativen Faktoren haben bei mir zum Schluss einfach überhandgenommen. Ich habe hart trainiert, bin aber letztendlich nicht mehr dafür belohnt worden. Ich habe dafür trainiert, um an der Startlinie zu stehen und Bestleistungen zu laufen, nicht um jedes Mal wieder da zu sitzen und zu überlegen, welche Zeiten ich wohl gelaufen wäre, wenn ich mich nicht wieder verletzt hätte. Neben dem Sport gibt es so viele andere Dinge, die einen glücklich machen können und das habe ich jetzt realisiert. Ich verdanke dem Sport so viel. Ich habe so großartige Menschen kennengelernt und so viele Dinge erleben können. Dafür bin ich extrem dankbar.
Neuer Abschnitt mit Dank und Laufen auf einem andere Niveau
Außerdem möchte ich ein ganz großes Danke an die Menschen aussprechen, die all die Jahre an mich geglaubt haben. Explizit an meine Trainerin Uta Tortell und generell an die ganze Familie Tortell. Ich habe das Training bei euch geliebt. Außerdem danke ich meinen Freunden und meinen Eltern. Meinem Vater, der mein Talent entdeckt und gefördert hat und meiner Mutter, die in dieser Zeit eine Art private Psychologin für mich war. Sie hatte so viel Geduld und hat aus jeder negativen Sache etwas Positives gemacht.
Jetzt ist es Zeit für einen neuen Abschnitt. Ich freue mich darauf, nicht zehnmal die Woche trainieren zu müssen und meinen Alltag unabhängig vom Training gestalten zu können. Ich kann mich jetzt auf mein Studium und meine Arbeit konzentrieren. Mittlerweile habe ich mich im Fitnessstudio angemeldet, – wer hätte das mal gedacht?
Und ganz zum Schluss:
Einmal Läuferin – immer Läuferin. Jetzt aber auf einem ganz anderen Niveau.
Autorin: Gina Marielle Schürg
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
[…] für sie. Wie schwer ihr der Abschied gefallen ist, schildert sie in einem eigenen Beitrag, den du hier lesen […]
Hallo Gina, ich habe deinen Werdegang mit großem Interesse verfolgt. Man kann fallen – aber man muss wieder aufstehen. Ich finde es gut, dass du aus deinen Verletzungen diese Konsequenz gezogen hast. Für dein anderes, neues Leben wünsche ich dir alles Gute. Ich kenne dich nicht persönlich, aber deine Urgroßmutter war meine Schwester.