Christian von Eitzen: 800-Meter-Läufer und Denker
Update 2022: Das vergangene Jahr lief sportlich nur teilweise nach Plan. Den vierten Platz bei den Deutschen Meisterschaften über 800 Meter (1:48,28 Minuten) musste Chris erst einmal verarbeiten, auch die verpasste Chance auf die Olympiaqualifikation. Seine Saison beendete er vorzeitig, obwohl er mit den 1: 46,90 Minuten in der Vorbereitung die schnellste Zeit seit Langem gelaufen war. „Vielleicht war das rückblickend die falsche Entscheidung, aber jetzt greife ich im Sommer wieder an“, sagt Chris. Die Europameisterschaften in München sind dafür ein schönes Ziel. Beruflich fokussiert sich Chris aktuell auf seine Tätigkeit in der Sportmanagement- und Modellagentur.
Athletenportrait
Soziologe und Kriminologe (Bachelor of Science), Fotomodell, Modell-Scout, angehender Psychologiestudent, Leistungssportler – langweilig ist es nicht in Christian von Eitzens Leben. Mit seinen 23 Jahren ist er beruflich sehr vielfältig unterwegs, aber seine Träume im Sport zu verwirklichen, stehen dabei als Knotenpunkt im Zentrum seines Lebens: „Ich möchte über die 800-Meter-Strecke Deutscher Meister werden und strebe eine Europameisterschafts- und Olympiateilnahme an“, sagt er selbstbewusst. Es gibt noch keinen konkreten Zeitpunkt, bis wann er seine Ziele erreicht haben will, einen Zeitrahmen aber schon: „Ich stürze mich jetzt voll in den Sport, weil eben jetzt die Zeit dafür ist. Meine Sportlerkarriere kann ich vielleicht machen, bis ich 30 Jahre alt bin – danach ist die Arbeit dran. Da werde ich dann genauso viel investieren, wie jetzt für die Leichtathletik“, sagt der in London lebende Athlet.
Duale Karriere einmal anders
Immerhin hat Christian schon einen Studienabschluss in der Tasche. Allerdings, auch wenn er dem Sport grundsätzlich alles unterordnet, ohne Geld zu verdienen, lebt es sich im teuren London schlecht. Seit er 18 Jahre alt ist, arbeitet er freiberuflich in den verschiedenen Branchen, baut sich nebenbei ein Netzwerk auf, das er nutzen kann, wenn er erst einmal als selbstständiger Unternehmer seinen Lebensunterhalt verdient. Womit er sich dann genau beschäftigen wird, weiß er noch nicht; wichtig ist ihm bis dahin, seine Persönlichkeit zu entwickeln und auch später im Beruf an der Persönlichkeitsentwicklung dranzubleiben. „Ich lese viel über Philosophie und Politik. Ich mache mir viele Gedanken und schreibe sie auf, weil ich meine Ideen bewahren will. Ich bin ein Denker und diskutiere gerne mit anderen über meine Ideen“, erzählt Christian. Er lebt eine duale Karriere der besonderen Art.
Trauer als Antrieb
Aus seiner Geburtsstadt Hamburg ist Christian im Alter von zehn Jahren weggezogen, weil es seinen Vater beruflich nach England verschlagen hatte. Für Christian und seinen älteren Bruder war es nicht allzu schwer sich umzustellen, da deren Mutter Engländerin ist. Schon früher hatten sie oft Verwandte in England besucht, somit zog es die Familie in ein durchaus vertrautes Umfeld. Die doppelte Staatsbürgerschaft der Kinder erleichterte den Umzug auch formell. 2013 entschied sich Christian dafür, in der Leichtathletik für Deutschland zu starten, was jedoch vor allem emotionale Gründe hatte: „In dem Jahr ist mein Vater plötzlich infolge eines Unfalls gestorben. Danach wollte ich gerne für Deutschland starten“, erzählt er. Adi Zaar, damals schon Jugendtrainer im Deutschen Leichtathletikverband, habe ihm dabei geholfen einen Verein zu finden, den LC Rehlingen (Saarland). „In dem Jahr bin ich bei meiner ersten deutschen Meisterschaft gleich Dritter geworden“, sagt Christian.
Fünf Jahre später siedelte Christian nach Frankfurt am Main um. Er wollte sich hier ganz dem deutschen Sportsystem anschließen. Sein Studium in London absolvierte er gleichzeitig als Fernstudium. Seine Professoren kommunizierten mit ihm via Facetime, Klausuren durfte er teilweise im Trainingslager schreiben. Dem LC Rehlingen blieb er über die Jahre treu, aber in Deutschland hat er es nicht lange ausgehalten. Ein Leistenbruch, den er sich Anfang 2018 zugezogen hatte, musste operativ versorgt werden. „Ich hatte die Verletzung ignoriert. Erst als ich im Bein einfach keine Kraft mehr aufbringen konnte, bin ich zum Arzt gegangen“, berichtet Christian. So konnte er in dem Jahr seine Leistungen verletzungsbedingt nicht abrufen und schied auch aus der finanziellen Verbandsförderung. „Ende 2018 bin ich wieder nach England zurückgegangen, mir fehlte hier doch mein vertrautes Umfeld und meine Familie“, sagt Christian. Seither kombiniert er sein Training – rund 25 Stunden pro Woche – mit ertragreichen Jobs, für die er weitere 30 Stunden aufwendet.
In England trainiert es sich anders
Als sein Freund Marc Tortell (1500 Meter) voriges Jahr vom A-Team Karben erzählte, wollte er spontan zum Team dazu stoßen. „Ich bin mit allen im Verein vernetzt und sehr gut befreundet, mit Marc habe ich täglich Kontakt, hier fühle ich mich persönlich zugehörig“, erzählt er und so startet Christian seit diesem Jahr für den ATK. Christian kommt, wie Lara Tortell, für die wichtigsten Wettkämpfe nach Deutschland, um sich hier zu beweisen. Am kommenden Wochenende will er im 800-Meter-Lauf bei den deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig um die Medaillen mitlaufen. Mit seiner derzeit persönlichen Bestzeit von 1:48,82 Minuten hat er Chancen – insbesondere, wenn er noch eine Schippe drauflegt. In England trainiert er dafür bei seinem Lauftrainer Matthew Yates mitunter bis zur Erschöpfung. Eine Erfahrung, die er bei seinem Training in Deutschland so nicht gemacht hat. „Trotzdem passt das englische Sportsystem für mich sehr gut, ich bin damit aufgewachsen und komme damit gut klar“, erzählt er. Hier nennt er noch einige Unterschiede zum Training in Deutschland:
- „Wir trainieren viel nach Gefühl. Klar sind Blutwerte, wie die Lactatkonzentration oder Laufzeiten hilfreich, um sich zu orientieren, aber das persönliche Empfinden steht hier vorne an und steuert das Training.
- Mein Eindruck ist, dass wir hier praxisorientierter arbeiten.
- In Deutschland ist das persönliche Befinden natürlich auch wichtig, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass alles stark durch getaktet ist und das individuelle Befinden da manchmal untergeht.
- Interessant ist, dass die meisten Trainer in England auch selbst international erfolgreich waren. Das gibt es in Deutschland auch, aber überwiegend waren die deutschen Trainer als Sportler bis zu einem bestimmten Niveau aktiv, bevor sie sich auf die Trainerausbildung konzentriert haben.
- Die persönliche Wettkampferfahrung der Trainer ist den Vereinen oder dem Verband in England wichtig“, erzählt Christian.
Autorin: Yvonne Wagner
Fotos: Ben Turner, Iris Hensel
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
[…] Reise weitergehen soll. Mit dabei waren auch unsere Talente, die sich derzeit im Ausland aufhalten: Christian von Eitzen (London), Jonas Simon und Lara Tortell (beide USA). Sie schalteten sich via Facetime zur Sitzung […]